Matthias Kühne, 28.11.2022

Neuerungen zur Insolvenz­anfechtung

Die Hürde für die Durchsetzung von Insolvenzanfechtungsansprüchen wegen vorsätzliches Gläubigerbenachteiligung haben sich für Insolvenzverwalter durch die neue Rechtsprechung deutlich erhöht.

Der BGH hat in einigen aktuellen Urteilen die Voraussetzung der Insolvenzanfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligungen geändert. Ausgehend von seinem Urteil vom 06. Mai 2021 (Az. IX ZR 72/20) die Anforderungen an die Vorsatzanfechtung insgesamt verschärft und die Hürde für den Insolvenzverwalter deutlich erhöht. Die Kenntnis der eingetretenen oder drohenden Zahlungsunfähigkeit reichen für die Annahme der Kenntnis des Benachteiligungsvor

satzes allein nicht aus. Vielmehr müssen noch weitere Umstände hinzutreten.

Die Insolvenzordnung verfolgt das Ziel der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung. Das bedeutet, dass Gläubiger im gleichen (Sicherheiten-) Rang auch gleichbehandelt werden sollen, also letztlich die gleiche Befriedigungsquote zugewiesen bekommen sollen. Diesem Grundsatz kann es zuwiderlaufen, wenn einzelne Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz noch Zahlungen oder sonstige Leistungen erhalten. Mit der Insolvenzanfechtung kann der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Rückgängigmachung dieser Sachverhalte einfordern, sofern die Voraussetzungen der einzelnen Insolvenzanfechtungstatbestände erfüllt sind.

Grundsätzliche Voraussetzungen der Anfechtung nach § 133 InsO

Gemäß § 133 Abs. 1 InsO in der bis zum 4. April 2017 geltenden Fassung des Gesetzes vom 5. Oktober ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Die Kenntnis des anderen Teils wird vermutet, wenn dieser wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO a.F.).
Für alle bis zum 4.4.2017 eröffneten Insolvenzverfahren gilt das bisherige Anfechtungsrecht: Danach reicht schon die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners aus, um die Anfechtungsansprüche nach § 133 InsO auszulösen.
Die Rechtsprechung unterstellt die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit schon bei Bekanntwerden einzelner Indizien, die auf die wirtschaftliche Schieflage des Vertragspartners hindeuten. So kann allein schon die schleppende Zahlungsweise die im Rahmen des § 133 InsO erforderliche Kenntnis begründen.

Der Gesetzgeber hat sich zum Ziel gesetzt, mit der am 5.4.2017 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuerung die ausufernde Insolvenzanfechtungspraxis einzudämmen.
Anfechtungsvoraussetzung ist nun, dass der Vertragspartner für eine Leistung, die er in dieser Art und zu dieser Zeit beanspruchen konnte, nur dann auf Rückzahlung in Anspruch genommen werden kann, wenn er zum Zeitpunkt des Leistungsaustauschs die eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners kannte. Allein die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit reicht nunmehr nicht mehr aus. Auch der Anfechtungszeitraum wurde eingegrenzt. So kann in Fällen eines vertraglichen Leistungsaustausches grundsätzlich nur noch Leistungen der letzten 4 Jahre angefochten werden.

Nachweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Der für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung darlegungs- und beweisbelastete Insolvenzverwalter hat demnach zwei Möglichkeiten, die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nachzuweisen. Er kann den Vollbeweis führen oder sich mit der Darlegung und dem Nachweis des Vermutungstatbestands des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO begnügen. Danach wir diese Kenntnis vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte Greift lediglich die gesetzliche Vermutung, steht dem Anfechtungsgegner der Beweis des Gegenteils offen.

Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit als Beweisanzeichen

Die Kenntnis als innere Tatsache ist dem Beweis nur schwer zugänglich. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven (Hilfs-)Tatsachen hergeleitet werden. Zu den Beweisanzeichen, die für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung sprechen, zählt die erkannte Zahlungsunfähigkeit. Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel mit Benachteiligungsvorsatz. Dementsprechend hat der BGH bisher entschieden, dass der Anfechtungsgegner regelmäßig den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners erkennt, wenn er um dessen Zahlungsunfähigkeit weiß.

Zahlungseinstellung als Vermutung für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit

Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet.

Kenntnis von eingetretener Zahlungsunfähigkeit allein nicht ausreichend

Der BGH rückt in der seiner aktuellen Entscheidung davon ab, dass allein die Kenntnis der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit auch auf die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatz schließen lasse. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schuldner aus der maßgeblichen Sicht ex ante trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit berechtigterweise davon ausgehen durfte, noch alle seine Gläubiger befriedigen zu können. Entscheidend für die Beurteilung des Benachteiligungsvorsatzes ist vielmehr, dass er weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er auch künftig nicht dazu in der Lage sein wird. Das Wissen des Schuldners um seine gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit ist damit nur ein Aspekt. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung nicht in der Lage ist, sämtliche Gläubiger zu befriedigen. Von entscheidender Bedeutung für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ist vielmehr, dass der Schuldner weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen können wird. Dies kann aus der im Moment der Rechtshandlung gegebenen Liquiditätslage nicht in jedem Fall mit hinreichender Gewissheit abgeleitet werden.

Umfang der Liquiditätslücke

Die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit allein spricht für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nach der Rechtsprechung des BGH nur dann, wenn sie ein Ausmaß angenommen hat, das eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lässt, etwa deshalb, weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint. Das mag in einer überwiegenden Zahl der nach Maßgabe des § 133 Abs. 1 InsO zu beurteilenden Fälle anzunehmen sein. Es bleibt aber eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Fallgestaltungen, in denen die Krise noch nicht so weit fortgeschritten ist oder aus anderen Gründen berechtigte Hoffnung auf Besserung besteht.

Kenntnis von Drohender Zahlungsunfähigkeit allein nicht ausreichend

Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner zwar aktuell noch alle fälligen Verbindlichkeiten erfüllen kann es aber abzusehen ist, dass er dies innerhalb eines Zeitraumes von 24 Monaten nicht mehr kann. Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist gemäß § 18 Abs. 1 InsO nur dann Eröffnungsgrund, wenn der Schuldner den Insolvenzantrag stellt. Gegen seinen Willen kann also kein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet werden, wenn er nur drohend zahlungsunfähig ist. Diese gesetzgeberische Wertung wird beeinträchtigt, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit der bereits eingetretenen vorsatzanfechtungsrechtlich gleichgestellt wird. Müssen Gläubiger des nur drohend zahlungsunfähigen Schuldners die Vorsatzanfechtung fürchten, können sie geneigt sein, von Geschäftsbeziehungen mit ihm abzusehen oder bestehende Beziehungen zu beenden. Auch dies kann die ansonsten vermeidbare Zahlungsunfähigkeit überhaupt erst herbeiführen und auf diesem Wege letztlich in der Insolvenz münden. Der BGH schließt nicht aus, dass auch im Stadium der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit vorgenommene Deckungshandlungen nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sein können. Dann müssen jedoch weitere Umstände hinzutreten. Zur Vorsatzanfechtung kann es etwa führen, wenn im Zustand der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit und in der sicheren Erwartung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit mit den noch vorhandenen Mitteln gezielt bestimmte (womöglich nahestehende) Altgläubiger außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs befriedigt werden.

Beispiele für zusätzliche Umstände

Die zusätzlich erforderlichen Umstände können darin zu sehen sein, dass der Schuldner Forderungen solcher Gläubiger nicht begleicht, auf deren (weitere) Leistungserbringung er zur Aufrechterhaltung seines Geschäftsbetriebs angewiesen ist. Ferner kann der Mahn- und/oder Vollstreckungsdruck des Gläubigers der Zahlungsverzögerung ein größeres Gewicht verleihen. Ein schematisches Vorgehen verbietet sich auch hier. Maßgebend ist, dass die zusätzlichen Umstände im konkreten Einzelfall ein Gewicht erreichen, das der Erklärung des Schuldners entspricht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können.

Zeitraum für nachhaltige Beseitigung der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit

Besteht – abhängig vom Ausmaß der bestehenden Deckungslücke und der aus objektiver Sicht erwartbaren und vom Schuldner erkannten Entwicklung – Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit, rückt der hierfür erforderliche Zeitraum in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der Schuldner muss davon ausgehen dürfen, dass ihm dieser Zeitraum verbleibt. Das hängt vom Verhalten der (übrigen) Gläubiger ab. Sieht sich der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erheblichem Mahn- und oder Vollstreckungsdruck ausgesetzt, begrenzt dies den für eine Beseitigung der vorhandenen Deckungslücke zur Verfügung stehenden Zeitraum. Der Schuldner handelt mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er einen Zeitraum in seine Überlegungen einbezieht, der ihm unter Berücksichtigung des Verhaltens seiner übrigen Gläubiger ersichtlich nicht zur Verfügung steht. In einem nachfolgenden Urteil vom 3.3.2022 ( Az. IX ZR 78/20) hat der BGH betont, dass bei der Beurteilung des Zeitraumes eine mögliche Frist zur Insolvenzantragspflicht von maximal 3 Wochen bei Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit keine Rolle spielt.

Erhöhte Anforderungen an Anfechtungen des Insolvenzverwalters

Die Rechtsprechung des BGH wird zukünftig dazu führen, dass die Anforderungen an die Insolvenzanfechtung und damit auch an die Begründung auf Seiten des Insolvenzverwalters im Rahmen der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO deutlich steigen werden. Allein der Hinweis auf das Vorliegen der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit und die Kenntnis des Anfechtungsgegners der maßgeblichen Umstände wird nicht mehr reichen. Vielmehr muss der Insolvenzverwalter die oben dargelegten zusätzlichen Umstände ebenfalls darlegen und ggf. beweisen.

Fazit

Der BGH hat durch das aktuelle Urteil die Anforderungen an die Vorsatzanfechtung verschärft. Allein die Kenntnis des Anfechtungsgegners von einer drohenden oder einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit reichen für die Anfechtung nach § 133 a.F. InsO nicht aus. Maßgeblich ist vielmehr die –berechtigte- Erwartung des Schuldners, trotz eingetretener Zah-lungsunfähigkeit die Gläubiger bedienen zu können. Hier spielt das Ausmaß der Liquiditätslücke eine Rolle. Maßgebend ist auch die berechtigte Annahme der nachhaltigen Beseitigung der bestehenden Deckungslücke. Wie der BGH in den Anmerkungen ausgeführt hat, wird in der Praxis die berechtigte Annahme in vielen Fällen nicht bestehen. Allerdings sind die Umstände des Einzelfalles maßgeblich. Hier liegt die Beweislast grundsätzlich auf Seiten des Insolvenzverwalters.

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